Multisourcing als Beschaffungsstrategie

Im Folgenden wird der Begriff „Multisourcing“ im Sinne von Outsourcing und als dessen erweiterte Form verwendet (J. Hofmann u. a., 2010, S. 173). Multisourcing gilt dabei als eine der Besonderheiten von Cloud-Services (Martens & Teuteberg, 2012, S. 875). Bereits seit dem Ende der 1990er-Jahre beziehen und kombinieren Unternehmen ITServices von mehreren verschiedenen Anbietern (Levina & Su, 2008, S. 541). In den letzten Jahren hat sowohl die praktische als auch die akademische Literatur einen ständigen Wandel hin zum Multisourcing festgestellt (Könning u. a., 2018, S. 1815). Beim Multisourcing wird beispielsweise ein beliebiger IT-Service an einen externen Provider ausgelagert, dieser externe Service-Provider ist wiederum abhängig von IT-Infrastruktur- Services, welche von einem weiteren externen Provider bereitgestellt werden (Cohen u. a., 2006, S. 19). Beim Multisourcing übernimmt der Kunde die Rolle des Projektleiters und des Integrators der unterschiedlichen Services (außer in Fällen, in denen einer der Service-Provider mit Integrationsaufgaben beauftragt ist, in solchen Fällen erhält der Service-Provider eine zusätzliche Managementgebühr) (Ford u. a., 2011, S. 2). Ferner kann der Kunde die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Service-Provider miteinander nicht erzwingen, es sei denn, er hält diese Zusammenarbeit vertraglich fest (Ford u. a., 2011, S. 2).

Der Anstieg des Multisourcings lässt sich auf dessen Vorteile gegenüber dem „Singlesourcing“ zurückführen (Wiener, 2016, S. 79; Wiener & Saunders, 2014, S. 210). Unternehmen gehen weniger kostspielige und kürzere Beziehungen mit mehreren Hauptdienstleistern ein und profitieren von einem hohen Maß an Domänenexpertise, einem verringerten Risiko der Abhängigkeit von Anbietern und einer höheren Flexibilität (Könning u. a., 2018, S. 1821). Sie bauen auf die Stärken der unterschiedlichen Service- Provider auf und erzielen somit eine bessere Servicequalität (Ford u. a., 2011, S. 2). Durch die Inanspruchnahme von mehreren Providern folgt eine Reduzierung der Abhängigkeit des Kunden vom jeweiligen Service-Provider und dem Kunden wird mehr Verhandlungsmacht gegenüber den Providern verliehen (Könning u. a., 2018, S. 1821; Müller, 2013, S. 105). Kostenvorteile der einzelnen Provider können effektiver genutzt werden (Levina & Su, 2008, S. 546), der Wettbewerb unter den Providern nimmt zu (Ford u. a., 2011, S. 2; Levina & Su, 2008, S. 545; Poston, Kettinger, & Simon, 2009, S. 53–54) und eine höhere Leistungsfähigkeit der Provider entsteht (Davy, 2014, S. 109; Müller, 2013, S. 105). Die Kunden sind in der Lage, die Kosten aufgrund des höheren Wettbewerbs der Service-Provider weiter zu senken (Könning u. a., 2018, S. 1814). Durch Verträge mit kürzerer Laufzeit und klar abgegrenzten IT-Services, welche mit dem Multisourcing einhergehen, entsteht eine verbesserte Agilität und Anpassungsfähigkeit (Könning u. a., 2018, S. 1814, 1821). Somit können Unternehmen ihre Geschäfts- und IT-Anforderungen besser erfüllen (Plugge & Janssen, 2014, S. 79). Ferner ergibt sich die Möglichkeit, für einzelne Aufgaben jeweils den bestmöglichen Provider auszuwählen, was auch „best-of-breed“-Strategie genannt wird (Könning u. a., 2018, S. 1814; Plugge & Janssen, 2014, S. 78) und zu einer erhöhten Effektivität der IT führt (Davy, 2014, S. 109). Diese Vorteile kommen Unternehmen in einem zunehmend wettbewerbsintensiven Marktumfeld zugute und setzen verstärkter auf IT-Lösungen als je zuvor (Könning u. a., 2018, S. 1821). Da die Digitalisierung immer mehr Unternehmen betrifft, ist die IT ein wesentlicher Eckpfeiler vieler moderner Geschäftsmodelle (Könning u. a., 2018, S. 1821). Als Reaktion auf diese Entwicklung müssen Unternehmen ihre ITSourcing- Strategie weiter anpassen und mehr Wert auf die selektive Auslagerung (unter anderem Cloud-Services (Schneegans & Bujotzek, 2018, S. 27)) von IT-Services oder den Ausbau von internen Kompetenzen legen, um wettbewerbsfähig zu bleiben oder Wettbewerbsvorteile in der IT zu erzielen (Könning u. a., 2018, S. 1821).

Die Beliebtheit des Cloud Computing bestätigt, dass Multisourcing ein bewährtes Verfahren ist (Martens & Teuteberg, 2012, S. 881). Ebenfalls hat sich der Fokus auf das Multisourcing verstärkt (Armes, Engelhart, McKenzie, & Wiggers, 2015, S. IX). Generell finden Strategien zum Multisourcing in der praktischen und wissenschaftlichen Literatur breite Anerkennung (Könning u. a., 2018, S. 1822).

Herausforderungen des Multisourcings in Bezug auf Management, Steuerung und Integration der IT-Services

Neben den Vorteilen des Multisourcings entstehen auch neue Herausforderungen und Problematiken (Plugge & Janssen, 2014, S. 81). Ständig kürzere Innovationszyklen in der Informationstechnologie und immer bessere Serviceangebote bieten dem Kunden eine Vielzahl von Entwicklungsmöglichkeiten, weshalb der Kunde ein großes Interesse an der Weiterentwicklung seines IT-Serviceportfolios hat (Schneegans & Bujotzek, 2018, S. 17). Dieses Interesse wird nicht zwangsläufig von den einzelnen Service-Providern geteilt, welche in erster Linie auf die durch sie erbrachten IT-Services fokussiert sind (Schneegans & Bujotzek, 2018, S. 17). Denn mit dem Multisourcing geht eine Reduzierung des Umfangs der IT-Services, die jeweils von einem Provider bezogen werden, einher (Könning u. a., 2018, S. 1815). Folglich verringert sich der Anreiz der Provider, kundenspezifische Investitionen zu tätigen, zum Beispiel in den Wissensaufbau oder in die Technologien, die für das jeweilige Kundenunternehmen relevant sind (Könning u. a., 2018, S. 1815). Das Kundenunternehmen wird tendenziell weniger in die Beziehung mit einem Service-Provider investieren, was zu einer Verringerung der Beziehungsqualität führen kann (Könning u. a., 2018, S. 1815).

Des Weiteren ist beim Multisourcing das operative Risiko des Kunden höher als beim herkömmlichen Outsourcing an einen Provider, da es die Verantwortung an mehrere Provider delegiert (Ford u. a., 2011, S. 2). Es entstehen Herausforderungen hinsichtlich der Art und Weise, wie die Abhängigkeiten zwischen Anbietern und Kunden koordiniert werden können (Plugge & Janssen, 2014, S. 81). Mit wachsender Zufriedenheit der Kunden von IT-Service-Providern wuchs auch die Anzahl der Provider sowie die Qualität und Art der bezogenen Services (Arora u. a., 2013, S. 3). Mit dieser gestiegenen Provideranzahl, mit der ein Kundenunternehmen zusammenarbeitet, nehmen die Abhängigkeiten der extern erbrachten IT-Services zu (Schneegans & Bujotzek, 2018, S. 17). Durch das Arbeiten mit großen Providerportfolios ergeben sich folgende Herausforderungen für die Steuerung und das Management der IT-Services (Arora u. a., 2013, S. 3):

• Das Verantwortungsbewusstsein zwischen den Providern fördern

• Die Performance zwischen den Anbietern steuern und vergleichen

• Die Standardisierung von Prozessen, Tools und Technologien vorantreiben

• Eine Vielzahl von Verträgen und Anreizstrukturen auf die übergeordneten Geschäftsziele ausrichten

Diese Interaktion mit verschiedenen Parteien kann das richtige Abkommen zu treffen und sicherzustellen erschweren (Ford u. a., 2011, S. 2). Der Kunde kann oft nicht eindeutig ermitteln, welcher Service-Provider für einen bestimmten Fehler in der Bereitstellung verantwortlich ist, oder dies nicht ausreichend nachweisen, sodass er seine Rechte und Ansprüche aus dem vereinbarten Vertrag geltend machen könnte (Ford u. a., 2011, S. 2). Durch die jeweilige Konzentration der Provider auf ihre eigenen ITServices, erhöht sich die gegenseitige Schuldzuweisung bei Serviceausfällen oder nicht gezielt zugewiesenen Aufgaben, trotz etwaiger in den Providerverträgen vereinbarter Kooperationsbestimmungen (Schneegans & Bujotzek, 2018, S. 17). Diese Dynamik erhöht das Risiko, dass die Provider versuchen, ihre Nichterfüllung (einschließlich Service Level-Ausfälle) mit der Begründung zu entschuldigen, dass der Ausfall eines anderen Providers die Ursache gewesen sei (Ford u. a., 2011, S. 2). Mit dem einhergehend erhöht sich innerhalb des Multisourcings der Koordinationsbedarf von providerübergreifenden Aufgaben (Schneegans & Bujotzek, 2018, S. 17). Letztendlich können Provider, welche aus einer ähnlichen Branche stammen, es auch meiden, Verträge einzugehen, die eine enge Zusammenarbeit mit ihren Wettbewerbern erfordern mit der Befürchtung, ihre vertraulichen Informationen oder ihre besonderen Fähigkeiten einem Wettbewerber zur Verfügung zu stellen (Ford u. a., 2011, S. 2). Des Weiteren sind die Verantwortlichkeiten innerhalb einer Organisation und zwischen den Service-Providern in der Regel doppelt vorhanden, was zu Fehlern bei der Servicebereitstellung und erhöhten Kosten für den Kunden führen kann, da mehrere Service-Provider für die gleiche Aufgabe vergütet werden (Ford u. a., 2011, S. 2).

Während des Betriebs der ausgelagerten IT-Services, stellt sich oft heraus, dass Reibungsverluste aufkommen, die erzielten Erwartungen in das Outsourcing und in die Provider nicht eintreffen und der beabsichtigte Nutzen nur zum Teil oder überhaupt nicht entsteht (Schneegans & Bujotzek, 2018, S. IX). Dies ist selten auf Mängel in den Technologien zurückzuführen, sondern meistens auf die Verfahrensweise und darauf wie die Zusammenarbeit mit Providern organisiert und koordiniert ist (Schneegans & Bujotzek, 2018, S. IX). Beispielsweise ist eine häufige Verletzung der Service-Level-Agreements auf Koordinationsprobleme bei der Verwaltung von gegenseitigen Abhängigkeiten der Service-Provider zurückzuführen (Plugge & Janssen, 2014, S. 90). Im Übrigen beabsichtigen die Provider einerseits ihre Kompetenzen zu stärken, um mit kleineren Konkurrenten um kleinere und kürzere Verträge zu konkurrieren, und andererseits weiterhin eines ihrer Hauptinteressen zu verfolgen, das in den umfangreichen IT-Outsourcing- Vereinbarungen liegt und einen hohen Gewinn für den Provider einbringt (Könning u. a., 2018, S. 1821). Bezogen auf die DACH-Region, weisen die umfangreichen IT-Outsourcing- Vereinbarungen, sogenannte „Mega-Deals“, trotz der Entwicklung hin zu kleineren und kürzeren IT-Outsourcing-Beziehungen, einen hohen Marktanteil auf (Könning u. a., 2018, S. 1821). Lediglich 12 dieser „Mega-Deals“ machen fast die Hälfte des IT-Outsourcing- Marktvolumens aus (Könning u. a., 2018, S. 1821).

Der Anstieg von Cloud Computing als Teil des Serviceportfolios der Unternehmen lässt in Zukunft erhebliche Auswirkungen auf die Outsourcing-Vereinbarungen, vor allem hinsichtlich des Multisourcings, vermuten (Ford u. a., 2011, S. 5). Da Cloud-Services ein immer größeres Segment der Servicebereitstellung darstellen, werden sich Unternehmen künftig eher dafür entscheiden, einige ihrer Anforderungen in Form von IT-Services in die Cloud zu lagern und andere über das traditionelle IT-Outsourcing verwalten zu lassen (Ford u. a., 2011, S. 5). Unternehmen werden die sich überschneidenden Zuständigkeiten beim traditionellem IT-Outsourcing und beim Cloud Computing erkennen und die oben genannten Multisourcing-Konzepte als Lösungsansatz in Betracht ziehen (Ford u. a., 2011, S. 5). Allerdings stellt die Anwendung dieser Prinzipien auf Cloud- Service-Provider eine Herausforderung für die Unternehmen dar, da es schwierig ist, die Cloud-Service-Provider zu Verträgen und Serviceangeboten außerhalb ihrer Standards zu bewegen (Ford u. a., 2011, S. 5).