Definition

Handelsinformationssysteme unterstützen Handelsunternehmen bei seinen Aufgaben der Beschaffung, Distribution, Administration und Controlling. Handelsinformationssystem unterscheiden sich von denen in anderen Branchen durch besondere Anforderungen. (Becker und Schütte 2004, S. 34) Diese Besonderheiten treten durch die Ausübung von Handelsfunktionen auf (Becker und Schütte 2004, S. 34–36):

• Einkauf

Der Artikel ist das zentrale Objekt eines Handelsinformationssystems. Daher bestehen besondere Anforderungen daran, aufgrund des großen Artikelvolumens diese möglichst komfortabel zu erfassen. Auch die Bezugswege der Artikel sollen im Handelsinformationssystem abgebildet werden und stellen eine Besonderheit dar. (Becker und Schütte 2004, S. 34)

• Disposition

Die Disposition beschäftigt sich mit der Bestellmengenplanung (Becker und Schütte 2004, S. 35). Dazu werden verschiedene Funktionen eingesetzt, wie die Bestellmengenrechnung. Bei der Bestellmengenrechnung wird festgelegt, welche Mengen zu welchem Zeitpunkt bestellt werden müssen. (Becker und Schütte 2004, S. 292–295) Durch die Bestimmung kostenoptimaler Bestellmengen und Bestellzeitpunkte wird also der Lagerbestand zeitlich und mengenmäßig gesteuert. Dazu werden die drei Faktoren Artikel, Menge, Zeit betrachtet. (Crone 2010, S. 13)

• Wareneingang

Bestände im Lager können entweder mengen- oder bestandsmäßig geführt werden. Die Differenz zwischen dem Einkaufswert des Artikels und dem Verkaufswert gibt im Handel die Gewinnspanne des Unternehmens wieder. (Becker und Schütte 2004, S. 34) Prozesse des Wareneingangs umfassen unter anderem die Wareneingangsplanung, die Warenannahme, die physische Einlagerung der Ware und die Wareneingangserfassung. Da die Disponenten im Regelfall tagesgenau bestellen, müssen bei der Wareneingangsplanung lediglich die Warenlieferungen auf die Wareneingansressourcen verteilt werden. (Becker und Schütte 2004, S. 328–329)

• Rechnungsprüfung

Aufgrund des hohen Rechnungsvolumens im Handel erfordert die Rechnungsprüfung ein hohes Maß an Arbeitsteilung. Daher wird die Rechnungsprüfung häufig von der Finanzbuchhaltung entkoppelt. Die Prüfung erfolgt, indem die Lieferscheine, die den Wareneingang enthalten und Rechnungen (i.d.R. nur die Rechnungssummen) erfasst werden und anschließend automatisch abgeglichen werden. (Becker und Schütte 2004, S. 35)

• Lager

Je nach Organisationsform des Handelsunternehmens unterscheiden sich die organisatorischen Abläufe und Prozesse im Lager. Bei einem zentral organisierten Filialunternehmen mit beispielsweise nur einem Zentrallager können Lager und Zentrale gleichgesetzt werden, sodass die Funktionsausübung innerhalb der Bereiche Einkauf und Marketing ausgeführt wird. Existieren in einem Unternehmen jedoch mehrere Lager, ist es möglich, dass Einkauf und Marketing in den jeweiligen Regionallagern niedergelassen sind. (Hertel 2011, S. 260)

• Marketing

Unter Marketing wird im Folgenden das klassische Absatzmarketing verstanden (Becker 2010, S. 7). Das Ziel des Marketings ist die Erstellung sogenannter Listungen (Becker und Schütte 2004, S. 35). Dabei werden die Artikel Filialen oder Kunden zugeordnet. Dies basiert auf der Verwendung von den sortimentspolitischen Instrumenten, Sortimentspolitik, Konditionspolitik, Kommunikationspolitik und Distributionspolitik. Dazu können beispielsweise Kundeninformationen verwendet werden, um bei Werbemaßnahmen einen hohen Wirkungsgrad zu erzielen. Kann das Unternehmen durch die Listungen einen Kunden identifizieren, was im Einzelhandel jedoch häufig nicht der Fall ist, können für einen Kunden oder eine Kundengruppe beispielsweise spezielle Konditionen festgelegt werden. Dadurch können Anreize zum Verkauf ausgewählter Artikel geschaffen werden und die Absätze können gesteuert werden. (Becker 2010, S. 7–8)

• Warenausgang

Beim Warenausgang wird die Ware an den Endkunden verkauft (Hertel 2011, S. 259). Das bedeutet es erfolgt die logistische Abwicklung des Kundenauftrags (Becker 2010, S. 11). Dabei ist der Warenausgang an der Verkaufsstelle weniger aufwändig für das Handelsunternehmen als der Verkauf der Ware am Lager, da der Kunde die zu kaufenden Artikel selbst zusammenstellt (kommissioniert) (Hertel 2011, S. 259).

• Fakturierung

Bei der Fakturierung werden dem Kunden die erbrachten Leistungen, im Fall von Handelsunternehmen die gekauften Waren, in Rechnung gestellt (Becker und Schütte 2004, S. 36).

Handelsinformationssysteme unterscheiden sich je nach Branche (z.B. Lebensmittelhandel, Drogeriemarkt) und Handelsfokus (z.B. Einzelhandel, Großhandel) (Becker und Schütte 2004, S. 36), wie auch schon an den Handelsfunktionen deutlich wurde, da beispielsweise je nach Organisationsform verschiedene Prozesse im Lager verwendet werden.

Außerdem kann bei Informationssystemen im Handel zwischen Systemen unterschieden werden, die operative, betriebswirtschaftlich-administrative oder Controlling Aufgaben erfüllen. Die einzelnen Bestandteile werden in einer Architektur eingebettet, die dessen Bestandteile und Beziehungen untereinander verdeutlicht. (Becker und Schütte 2004, S. 38)

Ein Beispiel für eine Architektur ist das Handels-H-Modell (Abbildung 3). Dabei wird zwischen den Bereichen Beschaffung, zu dem die Teilsysteme Einkauf, Disposition, Wareneingang, Rechnungsprüfung und Kreditorenbuchhaltung gehören und dem Bereich Vertrieb mit den Teilsystemen Marketing, Verkauf, Warenausgang, Fakturierung und Debitorenbuchhaltung unterschieden. Verbunden werden sie durch das Lager, das als Überbrückung zwischen Beschaffung und Distribution dient. (Becker und Schütte 2004, S. 42)

Die drei Aufgabenbereiche finden sich im Handels-H-Modell ebenfalls wieder. Betriebswirtschaftlich- administrative Aufgaben beinhalten die Haupt- und Anlagenbuchhaltung, die Kostenrechnung und die Personalwirtschaft. Die Funktionen des „H“ selbst umfassen die operativen Aufgaben und das „Dach“ stellt durch das Controlling, Executive Information System (EIS) und Systeme zur Unterstützung der Unternehmensplanung, Informationen für Entscheidungsträger bereit. (Becker und Schütte 2004, S. 42)  

Abbildung 3: Vereinfachtes Handels-H-Modell zur Darstellung der Architektur von Handelsinformationssystemen
(Becker und Schütte 2004, S. 43)

Warenwirtschaftssysteme

Eine Form von operativen Handelsinformationssystemen sind sogenannte Warenwirtschaftssysteme (WWS). Es wird in der Literatur häufig als das wichtigste Anwendungssystem im Handel bezeichnet. (Becker und Schütte 2004, S. 44; Hertel 2011, S. 241) Hertel beschreibt die Hauptaufgaben eines Warenwirtschaftssystems in der mengenund wertmäßigen Steuerung der Güter- bzw. Warenflüsse im Rahmen der Lieferkette von Handelsunternehmen (Hertel 2011, S. 241). Becker und Schütte definieren es als ein System zur Repräsentation der „warenorientierten dispositiven, logistischen und abrechnungsbezogenen Prozesse für die Durchführung der Geschäftsprozesse eines Handelsunternehmens“ (Becker und Schütte 2004, S. 46).

Anhand des Handels-H-Modells kann ein Warenwirtschaftssystem charakterisiert werden. Während das Handelsinformationssystem die Gesamtheit aller Teilinformationssysteme darstellt, beschränkt sich das Warenwirtschaftssystem auf das „H“ des Modells (vgl. Abbildung 4). Dabei ist anzumerken, dass die Kreditoren- und Debitorenbuchhaltung aufgrund des engen Lieferanten- und Kundenbezugs im „H“ mit aufgenommen sind, jedoch auch als Teil der Finanzbuchhaltung außerhalb des WWS anzutreffen sein können. (Becker und Schütte 2004, S. 46–47) Wenn also im Folgenden von Warenwirtschaftssystemen gesprochen wird, dann sind damit Anwendungssysteme gemeint, die die Aufgaben eines WWS nach dem Handels-H-Modell (Abbildung 4) erfüllen.

Bei Enterprise Resource Planning (ERP) Systemen handelt es sich ebenfalls um Anwendungssysteme, die allerdings in der Regel einen umfassenderen Funktionsumfang als WWS enthalten. ERP-Systeme unterstützen somit mindestens die drei Bereiche Personal, Finanzen und Logistik. Das bedeutet, Warenwirtschaftssysteme können theoretisch ein Teil eines ERP-Systems sein. In der Praxis unterscheiden sich beide Anwendungssysteme jedoch zum Teil. Während ERP-Systeme auf technologische Führerschaft setzen, decken klassische WWS Branchenanforderungen umfassend ab. (Schütte und Vering 2011, S. 28–30) In diesem Zusammenhang sind unter anderem die in 3.1 vorgestellten Handelsfunktionen zu nennen.

Aufgrund dieser Branchenanforderungen ergeben sich auch bei der Einführung von Warenwirtschaftssystemen im Unternehmen verschiedene Anforderungen an das System (Schütte und Vering 2011, S. 34–45). Eine Besonderheit des Handels liegt im hohen Volumen an Geschäftsvorgängen und einer vergleichsweise hohen Artikelzahl im Vergleich zur Industrie (Schütte und Vering 2011, S. 38; Zentes 2006, S. 932). Daraus resultiert ein hohes Datenvolumen in Handelsunternehmen. Dazu kann das PoS-Upload Volumen eines Einzelhandelsunternehmens aufgeführt werden. Das sind die Bondaten (vgl. 3.3.1), die aus dem Kassensystem der einzelnen Märkte in das zentrale Warenwirtschaftssystem geladen werden. In großen Handelsunternehmen werden laut Becker und Winkelmann bis zu 100 Mio. Datensätzen in den Kassen erfasst und bei durchschnittlich großen Lebensmittelketten zwei bis sechs Millionen. (Becker und Winkelmann 2014, S. 118) Für das Datenvolumen im Einzelhandel ist besonders die Anzahl der zu berücksichtigen Filialen relevant, da im Extremfall filialindividuelle Preise, Konditionen, Bezugswege etc. vorhanden sein können, die das Datenvolumen multiplikativ mit der Filialzahl erhöhen. (Schütte und Vering 2011, S. 39). Die Verwaltung solcher Datenbestände führt zu hohen Anforderungen an das Warenwirtschaftssystem und die eingesetzte Hardware. Dies betrifft aufgrund der Filialstruktur besonders Unternehmen im Einzelhandel. Große Handelsunternehmen im Allgemeinen, auch diese aus dem Bereich Groß- und Versandhandel, sollten daher das Warenwirtschaftssystem auf ihre Bedürfnisse anpassen. (Schütte und Vering 2011, S. 40) 

Kassensysteme

Eine Datenquelle für das Warenwirtschaftssystem und im Rahmen dieser Arbeit die zentrale Datenquelle sind Kassensysteme. Diese werden an das Warenwirtschaftssystem des Unternehmens angebunden (Becker und Schütte 2004, S. 434).

Ermöglicht wird dies durch die Erfindung des Strichcodes, auch EAN (European Article Number) genannt. Dieser ist auf dem Produkt angebracht und eine optisch lesbare Verschlüsselung von Informationen über das Produkt. (Lux 2012, S. 63–64) Darauf aufbauend wird seit Anfang der 80er-Jahre Scanning Technologie verwendet, um den Strichcode auszulesen. Scannerkassen, die an der Verkaufsstelle, dem sogenannten Point of Sale (PoS) im Einzelhandel eingesetzt werden, ermöglichen die Erfassung und Speicherung der Daten. (Buhr 2006, S. 1)

Die Scanning Technologie und Scannerkassen bieten gegenüber klassischen mechanischen Kassen einige Vorteile, die Becker und Winkelmann aufführen (Becker und Winkelmann 2014, S. 112):

• Verbesserte Genauigkeit

• Höhere Geschwindigkeit

• tag- und minutengenaue und aktuelle Kassendaten pro Filiale und Kasse

• Verbesserte Waren- und Finanzkontrolle

Die Geschwindigkeit des Kassiervorgangs wird auch deshalb verbessert, da beispielsweise trotz fehlendem Preis auf einem Produkt die Ware erfasst werden kann. (Becker und Winkelmann 2014, S. 112) Neben dem Strichcode, der sich auf Produkten befindet und zum Einscannen verwendet wird, sind die Informationen über das Produkt zusätzlich auch in Ziffern codiert. Im Handel beschreibt diese 13-stellige Nummer jedes Produkt eindeutig. Ist das Kassensystem mit dem Warenwirtschaftssystem verbunden, werden die Ziffern des Strichcodes in konkrete Informationen, wie Artikel, Hersteller, Sorte und aktuellen Bestand umgewandelt. (Lux 2012, S. 63–64)

Die Anbindung des Kassensystems an das WWS kann auf verschiedenen Stufen erfolgen. Die Daten können zum Beispiel direkt an das zentrale WWS übermittelt werden oder bei mehreren Filialen in einem Filialwarenwirtschaftssystem (FWWS) zwischengespeichert werden. Die Struktur bei der direkten Übermittlung der Daten an das zentrale WWS wird als vollintegriertes Warenwirtschaftssystem bezeichnet, da eine Zwischenspeicherung innerhalb einer Filiale nicht notwendig ist. (Schütte und Vering 2011, S. 375–376) Die Übermittlung der Daten an das zentrale Warenwirtschaftssystem erfolgt periodisch und in der Praxis meist täglich (Becker und Schütte 2004, S. 464).

Da Kassensysteme nicht nur den Bezahlprozess der Kunden ermöglichen, sondern auch die Daten an das zentrale Warenwirtschaftssystem übermitteln, übernehmen diese eine geschäftskritische Aufgabe. Fiel früher eine mechanische Registrierkasse aus, wurde mit Stift und Papier gerechnet, fällt jedoch heutzutage ein Kassensystem, beispielsweise in einem Supermarkt oder Kaufhaus aus, ist der gesamte Kauf- und Bezahlvorgang nicht durchführbar. (Keller 2002, S. 34)

Data-Warehouse

Neben Warenwirtschaftssystemen, die sich mit den operativen Aufgaben des Handels befassen und den betriebswirtschaftlich-administrativen Aufgaben existiert außerdem das „Dach“ des Modells, welches für die Auswertung der zur Verfügung gestellten Daten verantwortlich ist. Der Ursprung der Daten liegt wiederum in den beiden anderen Teilgebieten des Handels-H-Modells. Daten, die in das Data-Warehouse eingespeist werden, umfassen beispielsweise Bondaten, Wareneingangsdaten, Bestandsdaten, Artikelstammdaten, Personaldaten und Controlling- /Buchhaltungsdaten (Becker und Winkelmann 2004, S. 125). Dazu müssen Schnittstellen zu den Vorsystemen geschaffen werden (Behme 2001, S. 212). Neben den internen Daten werden auch externe Daten im Data-Warehouse gespeichert, wie Daten von Herstellern, Marktforschungsinstituten und Logistik-Dienstleistern (Hertel 2011, S. 360).

Das aus der Integration der Teilsysteme resultierende große Datenvolumen des Unternehmens kann nur dann optimal zur Entscheidungsunterstützung genutzt werden, wenn aus den heterogenen Systemen universell verwertbare Informationen gewonnen werden. (Becker und Schütte 2004, S. 607–609) Dazu wird in Handelsunternehmen heutzutage vor allem die Data-Warehouse-Technologie verwendet (Becker 2010, S. 30) (siehe Abbildung 5). Grund für die Trennung der operativen Systeme von den Auswertungssystemen liegt vor allem in den kritischen Prozessen, die in den operativen Systemen durchgeführt werden. Um die Performanz durch Auswertungsprozesse nicht einzuschränken werden diese ausgelagert. Außerdem bietet die Integration der Daten im Data-Warehouse einen besseren Datenumfang für Auswertungen. (Hertel 2011, S. 410) Dies liegt auch daran, dass im DWH sowohl aktuelle Daten als auch historische Daten hinterlegt werden, während operative Systeme nur aktuelle Daten speichern (Becker und Schütte 2004, S. 609). Alternativ zu einem Data-Warehouse können die Daten auch in sogenannten Data-Marts gespeichert werden. Data-Marts enthalten Daten, die auf die Bedürfnisse einer kleinen Zielgruppe zugeschnitten sind (Becker und Schütte 2004, S. 796) und unabhängig voneinander betrieben werden (Sharda et al. 2017, S. 142). Sie können beispielsweise auf Filialebene implementiert werden. Auch eine Kombination aus Data-Warehouse und Data-Marts ist möglich, sodass beispielsweise Scanningdaten zuerst aus der Kasse ausgelesen, dann in einem Data-Mart der Filiale konvertiert und zuletzt im zentralen Data-Warehouse eingelagert werden. (Behme 2001, S. 213–214)  

Abbildung 4: Referenzmodell für Handelsinformationssysteme (in Anlehnung an Kloth 1999, S.1)