LEMKE ET AL. nennen die Digitalisierung einen fundamentalen Wandel, der durch die Digitalisierung und dessen Vernetzung entsteht , und führen an, dass ein Verstehen der neuartigen Wirkungsweisen, Zusammenhänge und Mechanismen Grundvorausset zung ist, um den digitalen Wandel zu gestalten.142 Dabei startete schon in den 1950er Jahren – mit zunehmender Verbreitung des Computers – die Digitalisierung. Auch damals, im Jahr 1962, sprach der Nobelpreisträger Kenneth Arrow diesbezüglich von einer drastischen Innovation.143 Dies lässt darauf schließen, dass die Digitalisierung schon länger anhält und auch heute wahrnehmbare Auswirkungen das tägliche Leben beeinflussten.

In diesem Kapitel werden relevante Begriffe im Kontext der Digitalisierung und Industrie 4.0 analysiert. Ferner werden die Begriffe des Geschäftsmodells und der Wertschöpfung mit Fokus auf mechatronische Produkte definiert.

Digitalisierung

Die Begriffswelt der Digitalisierung ist „verwirrend“ und trotzdem wird dieser Begriff in einer nie zuvor erlebten Häufigkeit gebraucht, wie MERTENS ET AL. betonen.144 Diverse Autoren führen an, dass der Begriff der Digitalisierung immer noch nicht genau definiert oder sogar unglücklich gewählt wurde.145 Es wurde festgestellt, dass Definitionen häufig zweigeteilt sind. Die einschlägigen Definitionsversuche beginnen oftmals mit einer technischen Darstellung und enden mit einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise.146 Als Beispiel sei die Begriffsdefinition von BOTZKOWSKI genannt, der Autor beginnt mit den Ursprüngen bei GOTTFRIED WILHELM LEIBNIZ147, Welcher arabische Nummern in binäre Strings digitalisierte. Rein technisch betrachtet ist die Digitalisierung ein Kodierungsvorgang von der analogen Darstellung in eine digitale Darstellung.148,149

Digitalisierung auf die Überführung von analogen auf digitale Daten zu reduzieren, erscheint wenig sinnvoll bei der Diskussion um die Digitalisierung von ganzen Geschäftsmodellen. 150,151 Dementsprechend führt BOTZKOWSKI im zweiten Teil seiner Definition an, es handele sich um die „partielle bzw. totale Transformation152 von Geschäftsmodelle unter der Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien mit dem Ziel der Wertschöpfung.“153 Diese Definition zeigt die Bedeutung der heutigen Informationstechnologie, mit der neue bzw. geänderte Geschäftsmodelle ermöglicht werden können. Dass die Digitalisierung sogar soziologische Auswirkungen hat, unterstreicht das BUNDESMINISTERIUM FÜR WIRTSCHAFT UND ENERGIE mit folgender Definition: „Die Digitalisieru ng steht für die umfassende Vernetzung aller Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft sowie die Fähigkeit, relevante Informationen zu sammeln, zu analysieren und in Handlungen umzusetzen.“154

Es wird deutlich, dass eine zunehmende Vernetzung, welche durch Informations- und Kommunikationstechnologien realisiert wird, allgegenwärtigen Einfluss hat. Mit der Vernetzung geht die Datenübertragung einher, die wiederum Grundlage der Digitalisierung ist. Daten, sinnvoll verknüpft, können zur Analyse und zu Bewertung von Optionen herangezogen werden, die das Ziel haben, bessere oder automatisierte Entscheidungen zu ermöglichen.155,156

Jedoch müssen heutige Systeme und Produkte dementsprechend ausgelegt und entwickelt werden.157 Diese Ansicht teilen auch PORTER UND HEPPELMANN. Die Autoren gehen sogar einen Schritt weiter und stellen dar, dass die erweiterten Funktionen vernetzter Produkte und die von ihnen bereitgestellten Daten das eigentliche Revolutionäre an der Digitalisierung seien.158

SUTTER UND GASSMANN führen die Digitalisierung auf vier Grundelemente zurück: 1.) E-Business159 als Voraussetzung, 2.) internetbasierte Wertversprechen, 3.) intelligente Wertkette, 4) digitales Geschäftsmodell. Betrachtet man die Zusammenhänge des internetbasierten Wertversprechens (2.) und der intelligenten Wertkette (3.), wird deutlich, wie die Digitalisierung die Produkt-/Servicelogik (2.) und im Unternehmen die Prozesslogik (3.) umfassend verändert.160 Demzufolge besteht ein Bedarf an einer genaueren Betrachtung der Produkte sowie von deren Entwicklungsprozessen. Den Zusammenhang zwischen Produkt, Geschäftsmodell und Wertschöpfungsprozesse führt Raith im Kontext der ökonomischen Bedeutung der Produktentwicklung an.161 Im Rahmen dieser Masterarbeit basiert das Verständnis der Digitalisierung auf den vier Grundelementen von SUTTER UND GASSMANN. Demnach wird die Digitalisierung als die intelligente Vernetzung auf Basis von Informations- und Kommunikationstechnologien, um einen besseren Kundennutzen zu ermöglichen, verstanden.

Geschäftsmodell und Wertschöpfung

Wertschöpfungsketten (Wertschöpfungsprozesse162 oder auch Wertschöpfungsnetzwerke oder -systeme163) sind nach PORTER eine „Ansammlung von Tätigkeiten, durch die ein Produkt entworfen, hergestellt, vertrieben, ausgeliefert und unterstützt wird“.164 Ebenso führt er an, dass die Wertketten die Unternehmen in strategisch relevante Tätigkeiten gliedern, um dadurch Kostenverhalten sowie vorhandene und potentielle Differenzierungsquellen zu erkennen.165 Dies bedeutet, dass neben einer Kosten-optimierung auch Wettbewerbsvorteile durch die Digitalisierung von Wertketten entstehen können. Diese werden auch intelligente Wertketten genannt, sie sind die Informatisierung von Fertigung und Logistik und führen zur Veränderung der Prozesslogik durch Maschine-zu-Maschine-Kommunikation.166

STÄHLERS definiert das Geschäftsmodell im Kontext der digitalen Netzwerkökonomie mit drei Kriterien.167 Es setzt sich aus dem Leistungsversprechen, der Architektur der Wertschöpfung und dem Ertragsmodell zusammen. Dabei beschreibt das Leistungsversprechen (value proposition) den Nutzen, den der Kunde erlangt. Die Architektur der Wertschöpfung umfasst die benötigen Prozesse, technische Ressourcen und den Personalbedarf der Wertschöpfungen. Das Ertragsmodell definiert, in welcher Höhe und in welcher Form zukünftige Bezahlungen erfolgen sollen.168

Industrie 4.0 und das Internet der Dinge

Ein in Deutschland immer wieder verwendeter Begriff im Kontext der Digitalisierung ist Industrie 4.0 (in diesem Zusammenhang fällt auch oft der Begriff der vierten industriellen Revolution169). Ähnlich wie der Begriff Digitalisierung fehlt eine klare Begriffsdefinition sowie Abgrenzung. MERTENS ET AL. führen an, dass Digitalisierung und Industrie 4.0 als Synonyme betrachtet werden können.170

Meist werden Teile oder einzelne Bereiche der Digitalisierung im Bezug zur Produktionstechnik mit dem Begriff Industrie 4.0 beschrieben.171 Das bedeutet, dass die heutige traditionelle Industrie mithilfe internetbasierter Innovationen aus dem Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik umgestellt wird.172

Die Industrie-4.0-Iniative des BMWi173 fokussiert den Bereich der industriellen Produktion (Smart Factory bzw. intelligente Fabrik).174 Das Ziel der Industrie 4.0 ist es, dass zukünftig intelligente selbstlernende Roboter bzw. Systeme sich selbstständig in den Produktionsprozess einbringen, um dort produktionsnahe Aufgaben erledigen.175 Das Produkt ist dann selbst ein aktives Element im Produktionsprozess und besitzt sämtliche notwendigen Informationen, um von seinem aktuellen Zustand zum Wunschzustand zu gelangen. So entsteht ein sich selbst organisierendes Netzwerk von Betriebsmitteln, Lagersystemen und Maschinen, in denen die digitale und physische Welt ineinandergreifen.176 Dies beschreibt eine grundlegende Transformation von Produkten, Services und Wertschöpfungsprozessen, die oft mit dem Begriff „smart“ assoziiert werden. 177

Internet der Dinge

Betrachtet man die komplexe Vision der Industrie 4.0 und den damit verbundenen Wandel der Produktion, wird deutlich, dass hohe Anforderungen an Produktionsmaschinen, IT-Systeme und vor allem auch an die Produkte selbst resultieren. Sind Systeme physisch, intelligent und vernetzt, spricht man von Intelligenten verbundenen Dingen (engl. smart connected things). Diese bilden das Internet der Dinge (engl. Internet of Things, IoT).178,179  

Die Innovationen im Bereich Informations- und Kommunikation bilden die Basis für das Internet of Everything (IoX), in dem Menschen, Dinge und Services miteinander vernetzt sind und Daten austauschen können.180 Für den Oberbegriff IoT bzw. IoX ist kennzeichnend, dass dieser verschiedene technische und semantische Domänen beinhaltet, es aber (noch) keine Umsetzungsarchitektur gibt.181 EIGNER ET AL. führen an, dass man dann, wenn Produkte miteinander kommunizieren, vom Internet der Dinge spricht. Ein anderer Begriff dafür sei Cyber-physische Systeme.182

Künstliche Intelligenz

DUMITRESCU führt an, dass der Intelligenzbegriff uneinheitlich und allein dadurch eine Definition der Künstlichen Intelligenz (KI) erschwert ist.183 In dieser Masterarbeit basiert der Begriff der KI auf der Definition von BOGON. Nach ihm kann ein Programm als „Künstliche Intelligenz bezeichnet werden, wenn es in der Lage ist eigenständig Schlüsse zu ziehen oder Entscheidungen zu treffen, die ein rationales Verhalten zur Folge haben, welches vorher nicht definiert worden ist.“184 In diesen Kontext werden auch intelligente oder smarte Systeme betrachtet. Diese werden im Abschnitt 3.2.1 näher behandelt. Mit den Definitionen und Ausführungen mechatronischer Systeme und der Digitalisierung ist der Bereich der Grundlagen abgeschlossen. Aufbauend darauf werden im nächsten Abschnitt die Auswirkungen der Digitalisierung auf mechatronische Systeme betrachtet.