In diesen Abschnitt werden Eigenschaften der Produkt-Service-Systeme (PSS) und deren Besonderheiten in der Produktentwicklung untersucht. Dazu werden das Service Engineering und ein PSS-Entwicklungsansatz genauer betrachtet , um Unterschiede zur generellen mechatronischen Produktentwicklung aufzuzeigen.

Die Weiterentwicklung mechatronischer Systeme zu CPS führt , bedingt durch neue Möglichkeiten der Informations- und Kommunikationstechnik, zu Produkt-Service-Systemen. Kennzeichnend ist die Verknüpfung und Integration von Sach- und Dienstleistung zu einem Leistungsbündel (Produkt), das den Nutzen der Einzelleistung überschreitet. Ermöglicht wird diese Systemkombination durch die erweiterte Kommunikations- und Vernetzungsfähigkeit und die Möglichkeit der (Prozess-)Autonomie der Produkte.355,356 Eindeutig voneinander lassen sich PSS und CPS nicht abgrenzen, führt LINDEMANN an und verweist auf die dynamischen Funktionen solcher Systeme.357

SUTTER UND GASSMANN führen an, dass die Beweggründe digitalisierter Produkte nicht neu seien, sondern auf Verbraucherfreundlichkeit und Dienstleistungsorientierung basierten (siehe auch „Service Dominant Logic“, Abschnitt 3.1.3).358 Eine Verknüpfung von Sachund Dienstleistung existiert schon länger in der Form von produktbegleitenden oder – nachgelagerten Dienstleistungen im industriellen Maschinenbau.359 Die Herausforderung besteht darin, diese Sach- und Dienstleistungen integriert zu planen, zu entwickeln und zu nutzen.360 Hierbei gilt es, für das generelle Verständnis, die Begriffe Dienstleistung und Produkt im Kontext von PSS genauer zu betrachten.

 Dienstleistungen (Services) sind selbstständige marktfähige Leistungen und lassen sich allgemein durch die Dimensionen Potential, Prozess und Ergebnis beschreiben. Interne und externe Faktoren (Potentiale) werden im Rahmen des Erstellungsprozesses kombiniert (Prozess). Die Faktorenkombination des Dienstleistungsanbieters wird mit dem Ziel eingesetzt, an den externen Faktoren, an Menschen (z.B. Kunden) oder deren Objekten (z.B. Fahrzeug des Kunden) nutzenstiftende Wirkungen (z.B. eine Inspektion beim Auto) zu erzielen (Ergebnis).361,362

 Physische Produkte sind Güter, die das Ergebnis eines Produktionsprozesses sind. Dienstleistungen können nach den Kriterien physisch und digital unterschieden werden. Physische363 Dienstleistungen sind immaterielle Güter, die von einer Person unmittelbar in der physischen Umgebung genutzt werden. Digitale Dienstleistungen finden im virtuellen Umfeld statt und werden in erster Linie von IT-Systemen erbracht. Eine Kombination von physischen und digitalen Dienstleistungen bilden intelligente Dienste (Smart Services), die in erster Linie Daten des physischen Produktes nutzen. Physische Dienstleistungen stellen einen optionalen Bestandteil von Smart Services dar. PSS sind somit eine Kombination zwischen Produkt und digitaler oder physischer Dienstleistung.364 Im Allgemeinen kann der Dienstleistungsanteil des PSS durch die Potential- und Prozessdimension bestimmt werden, wobei das PSS als Ergebnis interpretiert werden kann.365

Das „Service Engineering“ repräsentiert mit seinem interdisziplinären Charakter ein etabliertes Forschungsfeld und ist eine Schnittstellen-Disziplin zwischen den verschiedenen Bereichen.366 Das „Product Service Systems Engineering“ verknüpft Aspekte des Service Engineering mit dem System Engineering und hat das Ziel, das ingenieurwissenschaftliche Wissen anzuwenden, um so systematisch und methodisch das PSS zu entwickeln.367 Bedingt durch die Komplexität und die Entwicklungsaufgabe ist es zweckmäßig den Gesamtentwicklungsprozess grundlegend zu strukturieren.368 In einem Systementwurf werden fachdisziplinübergreifend Architektur und Schnittstellen des Systems spezifiziert. Bei einem PSS-Systementwurf (siehe Abschnitt 2.2.3) sind aufgrund des Service-Aspekts eine zusätzliche Beschreibung der Kundenschnittstelle und ein serviceseitiges Wertschöpfungssystem notwendig. Das Servicekonzept kann ebenso in Form von Modellen dargestellt werden, da es sich im Wesentlichen um einen Prozess handelt.369 Ein aktueller Ansatz370 für die Entwicklung von PSS ist derjenige von MÜLLER UND STARK (siehe Anhang 1, Abbildung A-1).371

LÜTTENBERG ET AL. vergleichen in ihrer Arbeit die VDI-Norm 2206 (Entwicklungsmethodik für mechatronische Systeme) mit dem PSS-Engineering-Vorgehensmodell von MÜLLER UND STARK. Die grundlegenden Unterschiede sind in Abbildung 10 dargestellt. Ein wesentlicher Unterschied zeigt sich in der Erweiterung der PSS-Umsetzung und in dem Lebenszyklusende.

Beide Vorgehensweisen basieren auf dem Konzept des V-Modells, jedoch erweiterten MÜLLER UND STARK dieses u.a. mit einem begleitendem Anforderungsmanagement und einer deutlich stärkeren Gestaltungsdimension der Kundenbedürfnisse sowie des Geschäftsmodells  

Das PSS-Vorgehensmodell von MÜLLER UND STARK unterteilt den Systementwurf in das Design der Systemarchitektur, die Spezifikation auf Systemebene und das Entwerfen des Geschäftsmodells.373 Durch die drei Aspekte der Definition des Geschäftsmodells (siehe Abschnitt 2.3.2) können Kundenbedürfnisse optimal adressiert werden.374,375 Das PSS-Vorgehensmodell beinhaltet einen „Configuration Shortcut“. Dieser Prozess stellt eine definierte Konfigurationsschnittstelle dar, die zu schnellen Anpassungen dient und spezielle Methoden benötigt. Zur Verwaltung ist ein Konfigurationsmanageme nt notwendig, welches ebenfalls die Entwicklung kundenindividueller PSS unterstützt. Generell beruht ein kundenindividuelles PSS auf Konfigurationsvorgaben und unterstützt somit die erörterte Rekonfiguration im Abschnitt 3.2.3.376

Es zeigt sich, dass ein starker Zusammenhang zwischen PSS-Vorgehensmodell und dem Geschäftsmodell besteht, da sich die drei Kriterien des Geschäftsmodells (siehe Abschnitt 2.3.2) im Dienstleistungsbegriff widerspiegeln. Ist die Dienstleistung ausstärker schlaggebend als das Eigentum des Produktes, profitiert auch das Geschäftsmodell von der hohen Anpassungsfähigkeit der PSS.377

So analysieren TUKKER UND TISCHNER drei PPS-Arten, nämlich produkt-, nutzungs- und ergebnisorientierte PSS.378 Diese Einteilung steht im Zusammenhang mit der Ausprägung des Geschäftsmodells bezüglich der gewünschten Finanzierung und Eigentumsübertragung. 379 Darüber hinaus lässt sich anhand dieser Einteilung die Bandbreite der möglichen Ausprägungen bezüglich Sach- und Dienstleistungsanteil darstellen.380 Eine Anpassung der traditionellen Geschäftsmodelle ist durch die Rahmenbedingungen der PSS erforderlich, schlussfolgern STEVEN UND GRANDJEAN.381 Diese Anpassung bzw. Gestaltung des Geschäftsmodells setzt zukünftig in den frühen Phasen der Produktentwicklung an und ist nicht mehr nur eine Frage der Unternehmensentwicklung.382 Begründen lässt sich dies durch das Zusammenwirken der produkt- und serviceseitigen Wertschöpfungssysteme, die sich am Lebenszyklus der PSS orientieren.383

Des Weiteren wird die Phase der Produktimplementierung, -nutzung und -anpassung im Produktlebenszyklus berücksichtigt.384 Service Lifecycles sind entgegen der bislang statischen Abfolge einzelner Phasen zyklisch strukturiert. Kontinuierliche Änderungen verbessern die Dienstleistung stetig und haben eher evolutionären Charakter. Der entstandene Solution Lifecycle vereint beide Lebenszyklen und weist entsprechende Tools und Methoden zur Verwaltung auf.385 Im Umfeld von industriellen Produkt-Service-Systemen386 (IPSS)teilen Lerch und Gotsch PSS-Typen wiederum PSS anhand des Zeitpunkts der Leistungserbringung im Produktlebenszyklus ein.387 Sobald zur Erbringung immaterieller Leistungen externe Netzwerkpartner zuständig sind, müssen diese bei der Entwicklung einbezogen werden, was gleichzeitig eine Betrachtung über den Produktlebenszyklus hinweg nötig macht.388

Die kooperationsintensive Zusammenarbeit innerhalb eines IPSS-Netzwerks389 führt zu weiteren Herausforderungen wie Optimierungen oder Simulationen der IPSS-Netzwerke. 390 Die dazugehörigen Verantwortlichkeiten für die Wertschöpfungsprozesse werden u.a. im Geschäftsmodell festgelegt.391 Die Wertschöpfung eines PSS endet nicht nach dessen Verkauf, sondern eine Leistungserbringung erfolgt über eine IT-Infrastruktur. Diese stellt die produktbegleitenden Services bereit.392

IT-Infrastruktur

Abgesehen von den produktseitigen Voraussetzungen und Veränderungen ist vor allem die vermehrte Bereitstellung der IT-Infrastruktur und -Dienstleistung über das Internet (Cloud Computing393) eine bedeutende Entwicklung.394 Eine Infrastruktur umfasst die Gesamtheit aller Ressourcen, die den Erbringungsprozess des PSS ermöglichen. Hierzu zählen unter anderem Informations- und Kommunikationssysteme, Energie- oder Stoffversorgung.395

Gleichzeitig unterstützen Cloud-Dienste die Herausforderung, heterogene smarte Systeme und Dienstleistungen durch solche neutralen Plattformen zu integrieren. Dynamik und Anpassungsfähigkeit eines PSS während der Lebensphase wird durch die Flexibilität moderner IT-Infrastrukturen396 erreicht. Die für die Produktfunktionen und Zusatzdienste erforderliche IT-Infrastruktur ist somit als integraler Bestandteil anzusehen.397 Dies bedeutet wiederum, dass Produktanforderungen sich direkt auf eine IT-Infrastruktur beziehen und somit auf die Systemumgebung des Produktes.398,399 Um dem Schema „Everything as a Service“ zu folgen, bestehen allerdings hohe Herausforderungen an die Organisation und vor allem an das Informationsmanagement.400

Produkt-Service-Systeme sind CPS mit ausgeprägten integrierten Dienstleistungen und stellen somit die konsequente Weiterentwicklung mechatronischer Systeme dar. Der vorgestellte Ansatz von MÜLLER ist kompatibel mit dem üblichen Ansatz zur Entwicklung mechatronischer Systeme, setzt aber das Einbeziehen mehrerer Disziplinen wie das Service Engineering oder System Engineering voraus. Insbesondere in den frühen Phasen im Entwicklungsprozess ist das Geschäftsmodell in die Anforderungserhebung einzubeziehen. Des Weiteren stellen Dienstleistungen Anforderungen an die IT-Infrastruktur, die mitberücksichtigt werden müssen und auf Cloud-Computing-Technologien basieren. Nachfolgend wird auf die Entwicklung des IT-unterstützten Verwaltens der anfallenden Entwicklungsdaten während des Produktentwicklungsprozesses eingegangen.