Heutige Produkte bestehen immer häufiger aus mehreren Komponenten. Es kommen elektronische, mechanische und informationstechnische Bestandteile in einem Produkt zusammen. Oft sind Produkte, die umfassende Funktionen erfüllen, multidisziplinä re komplexe Systeme, die dadurch bedingt erhöhte Anforderungen an die Produktentwicklung stellen.14 Der erhöhte Einsatz der Informationstechnologie als Produktbestandteil ist allgegenwärtig. Ein mechatronisches System können Alltagsgegenstände wie Drucker oder DVD-Player darstellen. Aber auch Industrie- und Serviceroboter bis hin zu Verkehrsflugzeugen sind Beispiele für mechatronische Systeme.

Nachfolgend werden Grundlagen eines mechatronischen Systems beschrieben, um die Besonderheiten einer Produktentwicklung darzustellen. Dabei wird zunächst auf den Produkt-, System- und Komplexitätsbegriff eingegangen.

Produktbegriff

Ein Produkt ist das „Ergebnis oder Erzeugnis menschlicher Arbeit und menschlichen Könnens […]. Etwas, was nicht auf natürliche Weise, sondern künstlich hervorgebracht wurde […]“.15 Produkte können physische oder nichtdingliche Leistungen sein. Ebenfalls können Produkte aus Komponenten, Einzelteilen oder Baugruppen bestehen. Es liegt nahe, dass Produkte auch aus beliebigen Kombinationen bestehen können. Zum Beispiel sind Rechnersysteme eine Kombination aus Hardware und Software. Eine grundsätzliche Gemeinsamkeit von Produkten ist das Leistungsversprechen. Denn alle Produkte stellen ein (direktes oder indirektes) Leistungsversprechen an den Nutzer über eine Schnittstelle bereit. Ebenso schlussfolgern JACKSTIEN UND VAJNA generell, dass Produkte das Resultat von Prozesse sind.16

 In dieser Meisterarbeit werden im Folgenden Produkte als Systeme verstanden, die aus Hardware, Software und Dienstleistung bestehen können, wobei physische Produkte den Nukleus bilden. Des Weiteren wird keine Einschränkung bezüglich der Kategorisierung der betrachteten Produkte in Investitions- oder Konsumgut vorgenommen, um möglichst eine breite Anzahl an Auswirkungen der Digitalisierung zu erfassen.

System und Komplexität

Die Systemtheorie definiert ein System folgendermaßen: „Eine von einem Bearbeiter in einer bestimmten Situation und mit einem spezifischen Zweck definierte Betrachtungseinheit wird als System bezeichnet.“17

 Ein System besteht aus Elementen, die Eigenschaften besitzen und durch Beziehungen miteinander verknüpft sind. Die Umgebung ist durch eine Systemgrenze abgegrenzt und steht mit ihr durch Ein- und Ausgangsgrößen in Beziehung.18 Unterschiedliche Stoffe können dem System hinzu- und aus ihm abgeführt werden. Dies wird im nächsten Abschnitt erörtert und anhand der Beschreibung eines mechatronischen Systems dargestellt. Ein offenes System ist ein System, das in Beziehungen mit seiner (System-)Umgebung steht.19 Elemente können selbst Systeme darstellen, die in einem System als Subsysteme bezeichnet werden. Der Begriff „Blackbox“ hilft bei der Reduzierung von Komplexität und beschreibt ein Phänomen, in dem nur die Eingänge und Ausgänge sowie die Funktion betrachtet wird.20

Systeme sind nie unabhängig, es gibt sowohl unter- als auch übergeordnete Systeme.21 Ein soziotechnisches System bezeichnet ein anspruchsvolles System. Diese haben eine technische und eine soziale Teilkomponente, beide müssen gleichzeitig betrachtet und gestaltet werden. Somit sind soziotechnische Systeme eine „organisierte Menge von Menschen und Technologien, welche in einer bestimmten Weise strukturiert sind, um ein spezifisches Ergebnis zu produzieren.“22

Eine große Anzahl von unterschiedlichen Elementen und Beziehungen eines Systems ist zugleich ein Maß für Komplexität.23 DÖRNER bezeichnet Komplexität als die Existenz von vielen, voneinander abhängenden Merkmalen in einem System. Der Komplexitätsgrad ist umso höher, desto mehr Merkmale vorhanden und je mehr diese voneinander abhängig sind. Des Weiteren ist Komplexität subjektiv und vom Betrachter abhängig. Zurückzuführen ist der erschwerte Umgang mit Komplexität vor allem auf die Konnektivität der einzelnen Elemente untereinander 24

Im Kontext der Produktentwicklung liefert die Systemtec hnik einen Ansatz zur Beherrschung. Ausprägungen der Systemmerkmale können innerhalb von Systemgrenzen betrachtet werden und sind so besser handhabbar. Reale oder geplante Produkte können mittels Systembetrachtung zu Modellen entwickelt werden, die Interpretationen erlauben. Merkmale zur Beschreibung der Komplexität sind: Elemente, Relationen, Dynamik und Zustände. OERDING bezieht sich auf die Komplexität in soziotechnischen Systemen, wie etwa der Produktentwicklung. Demnach trägt der Erkenntnisgewinn über Beziehungen oder Elemente des Systems während einer Produktentwicklung zur Beherrschung bei. Er schlussfolgert, dass durch den Zugewinn von Informationen sich die Komplexität beherrschen lässt.25

Mechatronische Systeme

Mechatronik ist ein Kunstwort, welches aus den englischen Wörtern mechanics und electronics entstanden ist.26 Einen großen Beitrag leistete der enorme Fortschritt im Bereich der Mikroelektronik und Mikroprozessortechnik. Dadurch wurde die Informationstechnik zu einem wesentlichen Bestandteil der Mechatronik.27 Durch das Zusammenwirken und die Fortschritte in den Bereichen Maschinenbau, Elektrotechnik und Informationstechnik werden neue Prinzip-Lösungen möglich und verbessern das Kosten-Nutzen- Verhältnis.28,29 Kehrseite des hohen Erfolgspotenzials ist eine hohe Komplexität. Mechatronische Systeme stellen aufgrund des vernetzten Zusammenspiels verschiedener Domänen30 hohe Anforderungen an den Entwicklungsprozess.

Diese Domänen sind hauptsächlich Informationstechnik, Elektrotechnik und Maschinenbau und verfügen über eigene Begriffswelten, Methoden und Beschreibungsmittel. Dies ist eine große Herausforderung bei einer domänenübergreifenden Zusammenarbeit. 31 Die Entwicklung solcher mechatronischen Systeme ist geprägt durch die herrschenden Wechselwirkungen von mechanischen, elektrotechnischen und informationsverarbeitenden Komponenten, die das Gesamtverhalten und die Gestalt des Gesamtsystems beeinflussen. 32

 In der VDI 2206 wird Mechatronik wie folgt definiert: „Mechatronik bezeichnet das synergetische Zusammenwirken der Fachdisziplinen Maschinenbau, Elektrotechnik und Informationstechnik beim Entwurf und der Herstellung industrieller Erzeugnisse sowie bei der Prozessgestaltung“.33 ZEMAN fügt zusammenfassend hinzu, dass es sinnvoll ist, zwischen zwei Integrationsformen zu unterscheiden:34

 • Die erste Art betrifft die materiellen Komponenten und deren räumliche Integration. Zu Beginn wurden physische Komponenten der verschiedenen Disziplinen auf immer kleinerem Raum realisiert. Zurückzuführen ist dies auf die Weiterentwicklung der Elektronik.

• Die zweite Art bezieht sich auf immaterielle Funktionen und wird vor allem durch den Einsatz von Software realisiert. Sie wird daher oft funktionelle Integration genannt und ist zunehmend informationsgetrieben. Gerade in den letzten Jahren gewann diese Art immer mehr an Bedeutung.

Die Grundstruktur mechatronischer Systeme lässt sich in vier Elementen abbilden:36

▪ Das Grundsystem bildet sich häufig aus der Kombination von einem mechanischen, elektromechanischen oder thermodynamischen System.

 ▪ Der Zustand des Grundsystems wird über die Sensorik bestimmt. Sensoren können aber auch Zustände der Umwelt durch messtechnische Erfassung oder durch indirekte Messwertaufnehmer (Softwaresensoren oder Beobachter genannt) zur Verfügung stellen.

Die Informationsverarbeitung bestimmt die notwendigen Einwirkungen, um den Zustand des Grundsystems in gewünschter Weise zu ändern. Dies kann digital, analog oder gemischt analog/digital erfolgen.

▪ Durch Aktorik lässt sich die Einwirkung auf das Grundsystem umsetzen. Dadurch ändern sich die Zustandsgrößen des Grundsystems.37

Die Elemente des Grundsystems sind über Flüsse miteinander verbunden. Dabei beschreiben Energieflüsse den Austausch von elektrischer, mechanischer, optischer oder thermischer Energie. Stoffflüsse umfassen den Transport von Flüssigkeiten oder Festkörpern. Informationsflüsse bilden den Austausch von Signalen ab, wie Messgrößen, Anzeigen, Daten, Informationen.38

Die genaue Zuordnung der einzelnen Flüsse unterstützt die Entwicklung der Funktionsstruktur und das Herunterbrechen auf Komponentenebene.39

Der Begriff Produktlebenszyklus wird unterschiedlich aufgefasst. Die betriebswirtschaftliche Sicht versteht unter dem Begriff den Lebensweg eines Produktes am Markt und unterteilt diesen in Phasen von der Produkteinführung bis zur Degeneration.

Die technische Sicht fokussiert den Lebensweg eines Produktes von der Produktidee über die Produktrealisierung und Nutzung bis hin zur Produktentsorgung und wird nachfolgend als Produktlebenszyklus bzw. -phase bezeichnet.40